Freitag, 6. Mai 2016

Mothia

Soehnchen hat eine wunderhuebsche, grosse Raupe gefunden, sie ist dunkelblau mit gruenen Streifen und krabbelt auf vielen kleinen Beinchen. Er baut ihr ein schoenes Zuhause in einem grossen Gurkenglas, mit vielen Blaettern und verziert es oben mit allen Blueten, die unser Garten so zu bieten hat.

Und das Wunder geschieht - nach drei Tagen im Glas verpuppt sich die Raupe und liegt still in ihrem Kokon da.

Eine Woche vergeht. Zehn Tage. Alle Familienmitglieder - ausser Soehnchen - haben die Sache aufgegeben und die Raupe fuer tot erklaert.

Aber siehe da, abends flattert eine Motte im Glas herum! Juhu! Die Natur hat gesiegt! Allgemeines Entzuecken und natuerlich ist Soehnchen, den wir gleich zum Mottenpapa erklaeren, uebergluecklich.

Einen ganzen Tag kann er seine Motte, die er "Mothia" getauft hat, allen vorzeigen, in der Schule, in der Nachmittagsbetreuung usw. Am Abend erklaere ich ihm, dass wir Mothia freilassen muessen, weil sie im Glas nicht ueberleben kann. Er sieht das auch alles ein und wir schuetteln Mothia in unserem Garten vorsichtig aus dem Glas.


Soehnchen bleibt noch ein bisschen bei ihr sitzen und ich wende mich ab, um ins Haus zu gehen. Da hoere ich, wie er bitterlich, herzzerreissend schluchzt. Das schlimmste ahnend - hat Mothia vielleicht einen Herzinfarkt ob der ploetzlichen Freiheit erlitten? Oder ist ein Vogel heruntergestossen und hat sie gefressen? - eile ich zurueck. Aber nein, Mothia sitzt weiterhin ganz gluecklich auf dem Stein und trocknet ihre Fluegel.

Soehnchen schluchzt.

"Was hast Du denn, mein Kleiner?"

"Ich.... haette .... nie .... gedacht....", stoesst er unter heissen Traenen hervor, "dass es so schwer sein wuerde, ein Haustier loszulassen!"

"Aber Spatzl, Mothia braucht doch ihre Freiheit. Jetzt kann sie einen Mottenmann finden und niedliche kleine Mottenkinder kriegen. Und dann bist Du ein Mottenopa!"

Ein lauter Schluchzer. Und es bricht aus ihm heraus: "Ich... werde... meine... Enkel... niemals... kennenlernen!"

Zahnfee

Wenn ein amerikanisches Kind einen Milchzahn verliert, dann legt es diesen unter das Kopfkissen, wo er naechtens von der Zahnfee abgeholt wird, die dafuer Geld oder ein kleines Spielzeug hinterlegt.

Das wird bei 20 Milchzaehnen pro Kind ganz schoen aufwendig, darum hatte ich urspruenglich den Kindern erzaehlt, dass bei uns die Zahnfee nur beim ersten Milchzahn kommt. Diese Aussage wurde in Deutschland ohne Probleme akzeptiert, aber da die Kids hier staendig mit gleichaltrigen Milchzahnbesitzern konfrontiert werden, wurde die Zahnfee wieder Thema bei jedem Zahn.

Nachdem mir der Vater der kleinen bei Soehnchens juengstem Milchzahn gnadenlos in den Ruecken fiel, hatte ich nicht das Herz, Toechterchen so stiefmuetterlich zu behandeln, als sie hoffnungsfroh ihren neusten Backenzahn unters Kissen legte. Besonders, da es mir zu Herzen ging, wie mein fast elfjaehriges Kind noch so an Magie und Wunder und Zahnfee glauben kann.

Ich steckte also einen Dollar des Nachts unter das Kissen.

Am naechsten Morgen kommt Toechterchen freudestrahlend herunter.

"Guck mal, Mama, ich hab einen Dollar bekommen."

"Super", freue ich mich mit. Sie schaut mich pruefend an.

"Hast Du den drunter gelegt?"

Aha, sie entwaechst also doch langsam der Zahnfee. Ich nicke laechelnd und lege den Finger auf den Mund, mit den Augen auf Bruederchen deutend. Sie kichert und bedankt sich bei mir.

Soweit so gut.

Am Abend, beim Vorsingen, bedankt sie sich nochmal. Und ich sage "Tja, jetzt weisst Du also, wer die Zahnfee in Wirklichkeit ist."

Ihre Augen werden gross und rund.

"Das bist IMMER Du gewesen???"

"Ja klar", sage ich.

"Wow. Jetzt brauche ich einen Augenblick, diese Information muss ich erstmal verdauen."